Mechanismen oraler Störungen

Mechanismen oraler Störungen

Die in Kieferentzündungen vorliegenden oder aus wurzelkanalbehandelten Zähnen austretenden Bakterien oder bakterielle Bestandteile gelangen in den Blutkreislauf (bakterielle Translokation). Dies kann als Endotoxinämie (erhöhte Konzentrationen an Endotoxinen im Blut) gemessen werden. Diese dauerhaften Belastungen sieben Tage die Woche für 24 Stunden lösen zwar geringgradige, aber chronische Entzündungsprozesse im Körper aus. Diese werden als „Silent Inflammation“ (chronische, stumme Entzündung) bezeichnet.

SILENT INFLAMMATION

Im Laufe der Zeit kann eine Silent Inflammation zu schweren metabolischen Erkrankungen wie Adipositas oder Diabetes mellitus, aber auch zu gravierenden kardiovas- kulären Erkrankungen (Arteriosklerose, Herzinfarkt, Schlaganfall) und zu Krebserkrankungen führen. Die genannten Endotoxine, Bestandteile von Lipopolysacchariden (LPS) der äusseren Wand gramnegativer Bakterien, werden von Bakterien direkt oder nach ihrem Absterben freigesetzt. LPS aktivieren Zellen des angeborenen Immunsystems und setzen die Entzündungsreaktion in Gang. Die Aktivierung von Makrophagen bewirkt eine intrazelluläre NF-κB-Bildung sowie die Produktion pro-inflammatorischer Zytokine. Durch eine vermehrte NF-κB-vermittelte Genaktivierung kommt es zur Bildung der Stickstoffmonoxid-Synthase, welche die Bildung von Stickstoffmonoxid (NO) einleitet. Dies ist Grundlage des sog. Nitrostress und ein Faktor bei der Entstehung von Mitochondriopathien.

AUTOIMMUNERKRANKUNGEN

Jede unserer Zellen besitzt einen sogenannten MHC (Major Histocompatibility Complex). Dieser codiert für unser Immunsystem die Information, dass diese Zelle zu uns gehört, also eine „Self-Zelle“ ist. Man könnte dies mit einer Uniform vergleichen, die eine Person trägt, welche sie als Mitglied einer bestimmten Gruppe aus- zeichnet und verhindert, dass sie von anderen Mitgliedern angegriffen wird. Wird dieser MHC-Code allerdings verändert, so wäre dies in etwa so, als ob die Zelle die Uniform wechseln und deshalb von der Polizei ihrer eigenen Gruppe, also dem eigenen Immunsystem, angegriffen würde, obwohl unter der Uniform immer noch dieselbe Zelle verborgen ist. Die „Self-Zelle“ wird nun irrtümlicherweise als „Non-Self-Zelle“ erkannt. Besonders Toxine aus Kieferentzündungen oder aus wurzelkanalbehandelten Zähnen, aber auch Schwermetalle aus Dentalmaterialien, allen voran Amalgam, welches zu über 50 % aus Quecksilber besteht, docken an unseren Zellen an und verändern diesen MHC-Code. Handelt es sich dabei um eine Muskelzelle, so kann dies in einer Fibromyalgie resultieren. Handelt es sich um eine Nervenzelle, so kann dies MS, ALS oder Morbus Alzheimer auslösen. Verschiedene 

Studien belegen den Zusammenhang zwischen Amal- gam und MS, ALS und Morbus Alzheimer.

RETROGRADER AXONALER TRANSPORT

Giftstoffe wie Endotoxine aus Bakterien der Mundhöhle können, analog zu Tetanus- und Botulinustoxinen, durch die Axone, also Nervenfasern, transportiert werden und gelangen auf diesem Wege extrem schnell in die Ganglien oder in das ZNS, wo sie zu Blockaden und Ausfällen z.B. des Nervus trigeminus, abbducens oder facialis führen können. Die Entfernung eines Herdes oder Störfeldes und damit die Beseitigung der Nachschubquelle an z.B. Endotoxinen kann deshalb im Sinne eines „Sekundenphänomens“ zu einer urplötzlichen Verbesserung im Bereich des Ausbreitungsgebietes dieses Nerven führen. Dies kann zuvor durch das Anspritzen mit einem Neural- therapeutikum simuliert werden.

ALLERGIEN UND UNVERTRÄGLICHKEITEN

Echte Typ-I-Allergien treten sehr häufig auf Kunststoffe, insbesondere Methacrylate, auf. Typ-IV-Allergien treten auf Dentallegierungen auf. Titan hingegen löst partikelinduzierte Entzündungen aus, da Titanpartikel im implantatnahen Gewebe von Makrophagen phagozytiert werden, die diesen Reiz mit der Ausschüttung von osteoresorptiven, pro-entzündlichen Zytokinen (TNF-α, IL-1β) beantworten. Deshalb sollte vor einem Einsatz von Titan die Entzündungsneigung mit dem „Titan-Stimulationstest“ nachgewiesen werden (www.imd-berlin. de). Unser Schaubild (Abb. 1) zeigt, wie es über die Achse Titanpartikel > Aktivierung von Gewebemakrophagen > Ausschüttung von TNF-α und IL-1β > Osteoklastenaktivierung zum Knochenabbau rings um das Implantat kommt. Neueste Studien beweisen unsere langjährige Annahme, dass die sog. Periimplantitis, also der entzündliche Knochenabbau an Titanimplantaten, nichts Anderes ist, als der Ausdruck einer Titanunverträglichkeit. Es wird dadurch verständlich, warum die allgemein propagierte Methode zur Behandlung der Periimplantitis nicht funktioniert, die darin besteht, das Titanimplantat abzuschleifen und/ oder mit Titanbürstchen zu reinigen: dies setzt erneut grosse Mengen an Titanpartikeln in das Knochen- und Zahnfleischgewebe frei. Dies wirkt so, als ob man Öl ins Feuer schütten würde und führt über die o.a. Achse zu noch mehr Knochenabbau! Eine mögliche Therapie der Titan-Periimplantitis würde nach unserer Empfehlung in einer Förderung der Knochenbildung durch Gaben der Vitamine C, D3 und K2/ mk7, von Magnesium, Zink und Omega 3 sowie in einer Hemmung der knochendestruierenden Osteoklasten durch Gaben von wiederum Vitamin C und D3 bestehen. Bei allen oben genannten pathogeneti- schen Mechanismen spielen Störungen und Belastungen des Immunsystems eine direkte oder indirekte Rolle. Dies sollte im Zusammenhang mit der Feststellung von Prof. Yehuda Shoenfeld, einem der weltweit führenden Immunologen, gesehen werden, dass jeder zweite Amerikaner an einer Erkrankung des Immunsystems leidet. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, bei allen chronischen Er- krankungen nach Störungen in der Mund- höhle zu fahnden.

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Abbildung 1: Durch Titanpartikel initiierte Entzün- dungsreaktion

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Abbildung 2: Vergleich eines gesunden Zahnes mit einem wurzelkanalbehandelten Zahn

WURZELKANALBEHANDLUNGEN

Wurzelkanalbehandelte Zähne sind tote Zähne (Abb. 2). Der abgestorbene Zahn, der einmal ein Organ mit eigener Nerven- und Blutversorgung war, verbleibt als toter Pfeiler in der Mundhöhle. Auch die beste Mikro-Endodontie wird nie eine komplett bakterienfreie Reinigung und bakteriendicht abgeschlossene Wurzelkanalfüllung realisieren können. Dies zeigt schon ein Querschnitt durch das Zahndentin: es ist nicht möglich, die circa 14.000–32.000 Dentinkanälchen pro mm2 Wurzelden- tin ausreichend zu reinigen und zu füllen (technische Limitation). Akzessorische und Seitenkanäle und die Endo-Paro-Verbindung über die Dentinkanälchen bleiben bestehen. Sie werden durch unterschiedliche, teils unbekannte Spezies anaerober, pathogener Bakterien besiedelt, welche das verbliebene organische Gewebe zersetzen und schädliche Stoffwechselprodukte (Toxine) absondern. Hier zeigt sich eine weitere, immunologische Limitation. Sie besteht darin, dass in die maximal 1-3 μm weiten Dentinkanälchen Erreger wie Bakterien durch ihren geringen Durchmesser von 0,6 - 1 μm problemlos eindringen können (Abb. 3 & 4). Dort können sie jedoch von Makrophagen aufgrund ihrer Grösse von ca. 25-50 μm nicht erreicht und eliminiert werden. Sehr treffend ist der Vergleich mit der Katze (Makrophagen), welche vor dem Mauseloch (Dentinkanälchen) sitzt und die Mäuse (Bakterien) nicht erreichen kann.

Diese pathogenen Bakterien produzieren aus den Aminosäuren Cystein und Methionin als Nebenprodukte des anaeroben Stoffwechsels hochgiftige und potenziell krebserregende Schwefelwasserstoffverbindungen (Thioether, Mercap- tane). Diese Toxine können durch irreversible Hemmung am aktiven Zentrum vieler lebenswichtiger körpereigener Enzyme zur Ursache vielfältiger System- und Organ-Erkrankungen werden. Die Hemmung wichtiger Enzyme der Atmungskette von Mitochondrien wurde nachgewiesen und kann auch in der klinischen Praxis durch Laboruntersuchung festgestellt werden. Bei jedem Kauvorgang werden diese Bakterien und v.a. deren Toxine in das Lymphsystem des umliegenden Gewebes abgegeben. Von hier gelangen sie in die Blut- bahn (fokale Infektion) und daraufhin in den gesamten Körper. In einer Studie waren in 19 von 20 endodontisch behandelten Zähnen mit apikaler Entzündung Mikroorganismen nachweisbar, was den Verdacht einer chronischen Infektion nahelegt. Eine andere Studie untersuchte die Mikroflora an Zähnen mit apikaler Parodontitis. Sie wies das Vorhandensein von Stäbchen, Kokken, Filamenten und Spirochäten nach.

Ist auf dem Röntgenbild eine Entzündung der Wurzelspitze zu erkennen, so ist die Misserfolgsquote einer Wurzelkanalbehandlung auf Grund der chronischen Infektion deutlich erhöht. Grundsätzlich ist dabei festzustellen, dass seit der standardmässigen Anwendung von dreidimensionalen Röntgenaufnahmen (DVT) sich gezeigt hat, dass nahezu kein wurzelkanalbehandelter Zahn frei von einer apikalen Entzündung ist. Ein intaktes Immunsystem spielt bei der Abwehr dieser nach einer Wurzelkanalbehandlung aktiven Keime eine entschei- dende Rolle. Häufig gelingt deren In-Schach-Halten jedoch nicht und die durch die Keime entstandene chronische Infektion weitet sich aus zu einer chronischen Entzündung des umgebenden Knochens. Das Immunsystem wird dadurch dauerhaft aktiviert. Die im Zuge der unspezifischen Immunreaktion aktivierten Makrophagen setzen sog. Entzündungsmediatoren (TNFα, IL-1β, Wachstumsfaktoren, Prostaglandine PGE2 und Leuko- triene) frei, die in der Blutbahn zirkulieren. Diese Entzündungsmediatoren begünstigen die Entwicklung oder Verschlechterung von systemischen chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen. TNFα erhöht nachweislich das Risiko, an postmenopausalem Brustkrebs zu erkranken. Dr. Thomas Rau von der Paracelsus Klinik in der Schweiz konnte einen deutlichen Zusammenhang zwischen Brustkrebs und wurzelkanalbehandelten Zähnen nachweisen. Bei über 96 % der Brustkrebspatientinnen fand er Wurzelkanalbehandlungen an einem oder mehreren Zähnen des Magenmeridians, welcher über die Brust verläuft, im Gegensatz zu lediglich 35 % bei gesunden Patientinnen. Studien zeigen zunehmend die Zusammenhänge zwischen wurzelkanalbehandelten Zähnen und Allgemeinerkrankungen auf. Sie belegen, dass wurzelkanalbehandelte Zähne mit oxidativem und nitrosativem Stress sowie kar- diovaskulären Erkrankungen, Diabetes und Depressionen in Verbindung stehen können. Die perfekte Abwehrleistung eines gesunden Organismus auf eine derartige Entzündung würde sich in einem Abszess mit dicker Backe äussern. Dies kennen wir heute jedoch nur noch aus den Lehrbüchern, denn seit rund 20 Jahren tritt dies bei keinem unserer Patienten mehr auf, da die Immunleistung der Menschen der westlichen Industrienationen massiv abgenommen hat. In den letzten 50 Jahren hat sich der Immunglobulin-A-Gehalt, ein Mass für die Stärke des Immunsystems, in diesen Ländern um über 30 % reduziert! Auch eine Zyste mit oder ohne Fistel zeugt von einem halbwegs intakten Immunsystem, aber auch dies wird immer seltener. Meist liegt im Bereich der wurzelkanalbehandelten Zähne nur noch eine nicht abgegrenzte diffuse Osteonekrose (IO/ NICO/ FDOK) vor als Zeichen für die vollständige KapitulationdesImmunsystems!Nebendenbeiwurzelkanalbehandelten Zähnen auftretenden stillen Entzündung (silent inflammation) und Autoimmunreaktionen treten sehr oft auch allergische Reaktionen auf verschiedene hochallergene Stoffe wie Guttapercha, Silber, Perubal- sam oder Paraformaldehyd auf, die in der Wurzelfüllung enthalten sind.

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Abbildung 3: Dentinkanälchen mit einem Durchmes- ser von ca. 2-3 μm.

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Abbildung 4: Diese Abbildung zeigt, dass Bakterien, Viren, Pilze, Spirochäten und andere Keime problem- los in mehreren Reihen in das Dentinkanälchen ein- dringen können.

MERIDIANSYSTEM UND ORGANBEZUG

Die gesamte Körperoberfläche wird von einem Netz von Energiebahnen (Meridianen) überzogen, die an Schaltpunkten (Akupunkturpunkten) als kleine Nerven-Gefäss- Bündel durch die Muskelfaszien treten und anatomisch nachgewiesen werden konnten. Auch die Informationsübermittlung entlang der Meridiane konnte durch Injektion radioaktiv markierter Substanzen an den Akupunkturpunkten nachgewiesen werden. Jeder dieser Meridiane durchläuft einen bestimmten Zahn oder eine Zahngruppe und steht mit bestimmten anatomischen Strukturen, Organen und Systemen in Verbindung. Aufgrund dieser Vernetzung durch das Meridiansystem führt eine Entzündung oder Störung in einem bestimmten Zahnbereich fast immer zu einer Störung im Bereich dieses Meridians und im Umkehrschluss zu einer Verbesserung, sobald diese Störung entfernt wurde. Kennt der biologisch arbeitende Zahnarzt die Zähne und Zahnareale, welche im Zusammenhang mit einem bestimmten Organ oder Organbereich stehen, so ist er in der Lage, den Patienten ganz gezielt nach gesundheitlichen Störungen entlang dieses Meridians zu befragen und durch Neuraltherapie am entsprechenden Zahnareal die Verbesserung entlang des Meridians zu simulieren.

Dies ist eine für den Patienten sehr überzeugende Diagnose- und Therapiesimulationsmethode, da dieser innerhalb von Sekunden bis wenigen Stunden eine vorüber- gehende Verbesserung z.B. der Beweglichkeit eines Armes verspürt, obwohl ein vom Arm entfernt liegendes Zahnareal angespritzt wurde. Über diese präzise definierte Fernvernetzung der Meridiane hinaus existiert ein sogenanntes Myotom, welches von allen Störungen der Mundhöhle beeinflusst wird: C1-C7. Dies bedeutet, dass sich grundsätzlich alle Störungen der Mundhöhle in Nackenbeschwerden, meist mit Einschränkungen der Kopfmobilität, äussern.

DAS STÖRFELDER-KONZEPT

Das Konzept des „Störfelds“ im System Mensch geht davon aus, dass ein Entzündungsprozess an einem Ort im Körper eine Reaktion an einer anderen Stelle hervorrufen und zur Therapieresistenz und Chronifizierung von Beschwerden führen kann. Die klassische Störfelderkennung erfolgt beim Zahnarzt über die Auswertung von Röntgenbildern und klinischen Befunden und deren Zuordnung zu medizinischen Befunden der jeweiligen behandelnden Fachrichtung.

Störfelddiagnostik

Die Zähne gehören zu den bedeutendsten Teilsystemen innerhalb eines Netzwerks regulativ arbeitender Teilbereiche des Organismus. Zähne und ihr zugehöriger Zahnhalteapparat (Odonton) haben eine Beziehung zu anderen körperlichen Strukturen und Organen. Reinhold Voll hat den Begriff des Odontons geprägt und, auf der Grundlage des Meridiansystems, die direkten und engen Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Odontonen und den verschiedenen Bereichen des Körpers identifiziert. Dabei sind Interaktionen und positive wie negative Beeinflussungen im Sinne einer Fernwirkung in beide Richtungen möglich: Ein gestörtes Organ kann sich pathologisch auf das zugehörige Odonton auswirken und umgekehrt kann ein kranker Zahn oder sein Zahnhalteapparat das mit ihm korrelierende Organ stören.